Aufenthaltsrecht für Betroffene

Betroffenen von Menschenhandel steht grundsätzlich ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zu.

Betroffene aus einem EU-Land

Sie dürfen sich gemäß § 2 des Freizügigkeitsgesetzes/EU in Deutschland aufhalten und eine Beschäftigung aufnehmen.


Betroffene
 aus Nicht-EU-Ländern (Drittstaaten) 

Sie haben im Wesentlichen zwei Möglichkeiten – zumindest vorübergehend – einen Aufenthalt in Deutschland zu sichern. Beide Wege gehen mit spezifischen Vor- und Nachteilen einher. Es lässt sich keine allgemein gültige Aussage treffen, welcher Weg eine stabilere Lösung für die Betroffenen bietet; eine Prüfung beider, sich nicht gegenseitig ausschließenden Möglichkeiten, sollte daher regelmäßig vorgenommen werden.

  1. Es kann ein Aufenthalt nach der speziell dafür geschaffenen Norm unter § 25 Abs. 4a oder 4b AufenthG angestrebt werden.Verglichen mit dem Asylverfahren hat ein Titel nach § 25 Abs. 4a/4b den Vorteil, dass das Verfahren deutlich schneller und weniger formalisiert bearbeitet wird. Nach neuesten Änderungen des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) werden Personen mit einem Titel nach § 25 Abs. 4a/4b AufenthG künftig vom Anwendungsbereich des AsylbLG ausgenommen. Stattdessen haben diese Personen fortan einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende) oder auf Leistungen nach dem SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung oder Laufende Hilfe zum Lebensunterhalt).

    Nach ihrer Identifizierung durch die Behörden erhalten sie eine dreimonatige Bedenk- und Stabilisierungsfrist, in der sie nicht abgeschoben werden dürfen (§ 59 Abs. 7 AufenthG). In diesem Zeitraum können sie entscheiden, ob sie mit den Behörden zusammenarbeiten möchten und bereit sind, im Strafverfahren gegen die Täter auszusagen:

    • Entscheiden sie sich für eine Zeugenaussage, so wird ihnen eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis für die Dauer des Strafverfahrens gewährt (§ 25 Abs. 4a AufenthG).
    • Entscheiden sie sich dagegen oder ist der Prozess abgeschlossen, müssen sie ausreisen oder werden abgeschoben, wenn sie nicht aus anderen Gründen ein Aufenthaltsrecht haben (§ 60 Abs. 2 AufenthG).
  2. Im Rahmen eines Asylgesuchs kann Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz oder zumindest ein Abschiebungsschutz zuerkannt werden.

 

 

 

 

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg

 

 

Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz und Abschiebungsschutz

Wird nicht bereits Flüchtlingsschutz zuerkannt, so liegen in vielen Fällen die Voraussetzungen für die Gewährung von Abschiebungsschutz vor.

In seiner Rechtsprechung zu Art. 4 EMRK schützt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vor Abschiebung, wenn ein reales Risiko besteht, aufgrund der Abschiebung Betroffener von Menschenhandel zu werden oder aufgrund der Opfereigenschaft einer anderen nach Art. 3 EMRK unzulässigen Behandlung ausgesetzt zu werden. Die Konventionsstaaten müssen dann effektiven Schutz gewähren, also regelmäßig den weiteren Aufenthalt ermöglichen.

Mittlerweile kommen kontinuierlich mehr nationale Gerichte ihrer Verpflichtung zur Beachtung der Rechtsprechung des EGMR nach und sprechen Opfern von Menschenhandel Abschiebungsschutz zu. So wurde beispielsweise Frauen aus Nigeria aufgrund einer Gefahr für Leib oder Leben, die ihnen bei einer Rückkehr nach Nigeria gedroht hätte, Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG gewährt. Ebenso erhielten schon Frauen und Mädchen aus dem Irak und dem Kosovo im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Abschiebungsschutz, da sie als alleinstehende Frauen (in manchen Fällen mit Kind) aufgrund ihrer existentiellen Notlage ansonsten Gefahr laufen würden, dem Menschenhandel zum Opfer zu fallen.

- Vgl. Frei, Schweizerische Zeitschrift für Asylrecht und -praxis 1/2013, S. 22f.
- Siehe nur VG Potsdam, Urteil vom 23. Oktober 2012 – 6 K 896/11.A.; VG Würzburg, Urteil vom 29. Juli 2011 – W 4 K 09.30232.

 

 

 

 

Voraussetzungen für den Flüchtlingsschutz

Betroffene von Menschenhandel können je nach den Umständen des konkreten Falles auch Flüchtlinge im Sinne der Definition der Genfer Flüchtlingskonvention sein. Menschenhandel ist europaweit als schwere Menschenrechtsverletzung geächtet und gilt als moderne Form der Sklaverei.
Die Staaten sind somit in der Pflicht, alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen zum Schutz der Betroffenen zu treffen.

Zudem können Betroffene von Menschenhandel auch hinsichtlich der angewandten Zwangsmittel oder der Ausbeutungsformen oftmals von weiteren Menschenrechtsverletzungen oder vergleichbar schweren Misshandlungen, wie beispielsweise Entführung, Freiheitsberaubung, Raub, sexuelle Versklavung, erzwungene Prostitution, Zwangsarbeit, Entnahme von Körperorganen, physische Gewalt, Nahrungsentzug oder Vorenthalten medizinischer Behandlung, betroffen sein.

Somit liegt bei Betroffenen von Menschenhandel regelmäßig eine Verfolgungshandlung im Sinne der Flüchtlingskonvention vor. Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne der Definition begründet, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass bei der Rückkehr ins Heimatland schwerwiegende Nachteile drohen. Für Betroffene von Menschenhandel relevant sind hier beispielsweise Repressalien der Täter, Ächtung und Diskriminierung oder die Gefahr des Risikos, erneut Opfer von Menschenhandel zu werden.

Die Verfolgungshandlung oder das Fehlen staatlichen Schutzes muss zudem mit einem Verfolgungsgrund verknüpft sein, § 3a Abs. 3 AsylVfG. So kann die Verfolgung zum Beispiel daran anknüpfen, dass Betroffene gezielt wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, politischen Überzeugung oder Nationalität ausgewählt werden. Ebenso kann das Anknüpfungsmerkmal einer bestimmten sozialen Gruppe gegeben sein, da Menschenhandel als Form geschlechtsspezifischer Verfolgung insbesondere Frauen (als solche oder Untergruppen, wie alleinstehende Frauen, Frauen niedrigen Bildungsstands o.ä.) treffen kann.

 

 

 

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